Es war ein warmer, sonniger Nachmittag Anfang Juni 1972

und meine Eltern waren dabei, dem Hotel den letzten Handschliff für den Beginn der Hotelsaison – der ersten Hotelsaison einer über dreißig Jahre langen Serie – zu geben.

Fast alles war fertig, um dem ersten Gast willkommen zu heißen, der sich für zwei Tage später angekündigt hatte.

Papa stellte mit Mama gerade Stühle und Tische auf der Terrasse zurecht, als er mit großer Überraschung sah, dass eine Pferdekutsche genau vor dem Hotel anhielt. Der Kutscher lud Gepäck aus und half dann eine Dame in ihren Fünfzigern beim Aussteigen: Sie war braunhaarig, hatte kurzes, welliges Haar, man sah, dass sie vor Kurzem beim Friseur gewesen sein musste, und war eher kleiner Statur. Sie kam vom Zugbahnhof Riccione! Es war nicht sofort klar, dass es sich dabei eben um die um zwei Tage zu früh eingetroffene Frau Neumann aus Deutschland handelte: Sie hatten eine Frau „Newman“ erwartet, in der Überzeugung, dass man den Nachnamen nach englischer Art aussprach!

Die Aufregung war groß, so wie die Anspannung: Das Hotel war zwar blitzblank und bereit aber… die Betten waren noch nicht bezogen! Während Mama sich ins Zimmer stürzte, um es bezugsfertig zu machen, hieß Papa Frau Neumann willkommen, lud sie mit Händen und Lächeln ein, sich bei ihnen wohlzufühlen und brachte ihr was zu trinken. Papa sprach kein einziges Wort Deutsch, doch als waschechter Einwohner der Romagna kannte er natürlich die internationale Sprache des guten Empfangs und der Gastfreundlichkeit!

Mit der Aufregung war’s aber lange noch nicht vorbei: Was sollte man ihr bloß zum Abendessen anbieten??

Die Vorratskammer war gut aufgefüllt, die Köchin würde jedoch erst in ein paar Tage kommen! Tante und Onkel aus Marebello, ebenfalls Gastwirte, waren prompt zur Stelle mit Hilfe und gutem Rat. Zum ersten Abendessen bekam also Frau Neumann eine schmackhafte Kraftbrühe, Pellkartoffeln und gebratenes Schnitzel serviert.

Seit diesem ersten Besuch war Frau Neumann im Sommer in Riccione gar nicht mehr wegzudenken, und sie kam zum Hotel Trocadero immer mit einer Kutsche! Dies blieb wohl meinem Opa Marino sehr gut in Erinnerung, er fragte uns dann auch jedes Jahr: La è vnu st’an quela de caval? (Und, ist die mit dem Pferd dieses Jahr gekommen?)

Ich war damals ein kleines Kind und kann mich an Frau Vera nicht sehr gut erinnern. Ich weiß aber noch, dass sie meine Eltern freundlich anlächelte, manchmal lachte sie sogar wegen einiger ihrer wirklich krassen Sprachfehler! Die ersten Deutschwörter lernten sie nämlich gerade von ihr: Guten Morgen, Guten Abend, Gute Nacht, Gute Reise, Auf Wiedersehen, bis nächstes Jahr… und jedes Mal, wenn sie anreiste oder wieder wegfuhr, umarmte sie sie herzlich.

Das ist eine wahre Geschichte, meine Mutter erzählte sie mir als ich viele Jahre später beschloss, das Trocadero direkt zu leiten.

Es ist eine einfache, echte Geschichte, die zu unseren Erfahrungen gehört. Gerade deshalb möchte ich sie mit Ihnen teilen in der Hoffnung, dass auch Sie dabei an Werte erinnert werden, die niemals verloren gehen sollten.

Joanne Valentini